Interview mit Esther Hüttermann
Interview mit Esther Hüttermann
Interview mit Esther Hüttermann
Wir sprechen mit Esther Hüttermann, Sektionsleiterin der Allgemein- und Viszeralchirurgie an der Kreisklinik Groß-Gerau. Sie erzählt uns über die Arbeit der Chirurgie in Zeiten von Corona, schildert die häufigsten Ursachen von Darmkrebs und erklärt uns die Behandlung.
Frau Hüttermann, gerade haben wir die vierte und fünfte Welle hinter uns gelassen. Wie war der Winter für Sie?
Es ist nun der zweite Winter in der Pandemie, den wir überstanden haben. Zwar war die Lage im vergangenen Winter mit Blick auf die Corona-Entwicklung insgesamt stabiler als im Winter davor, jedoch lässt sich dies nicht auf alle Abteilungen und Bereiche gleichermaßen übertragen.
Ganz konkret: Wie haben sich die beiden vergangenen Winter voneinander unterschieden und was bedeutete das konkret für die Chirurgie?
Im Winter 2020/2021 konzentrierte sich bei uns alles auf Corona. Als Corona-Schwerpunkthaus haben wir hauptsächlich Covid-Patienten versorgt, in Hochzeiten hatten wir bis zu 70 Betten auf der Corona-Normalstation. Um eine so hohe Zahl an Covid-Fällen zu versorgen, mussten wir andere Bereiche zurückfahren – und zwar überall, wo es ging. Wir haben uns mit anderen Kliniken abgestimmt, wonach Operationen und Nicht-Covid-Patienten zum Teil bei fehlender Intensivkapazität in andere Häuser verlegt wurden. In dieser Zeit hat unser Team auf anderen Stationen ausgeholfen, wie zum Beispiel auf der Intensivstation. Der normale Krankenhausbetrieb wurde auf ein Minimum reduziert, um die Pandemie irgendwie in den Griff zu bekommen.
Diesen Winter hingegen haben wir zwar weitaus weniger Covid-Fälle, allerdings geht der normale Krankenhausbetrieb weiter. Auf den normalen Betrieb kommt also Corona noch obendrauf, das ist sehr anstrengend. Wir müssen jeden Morgen neu beurteilen, ob die Bettenkapazität sowohl auf der Normalstation als auch auf der Intensivstation ausreichend ist für unseren OP-Plan. Die Anzahl notfallmäßiger und dringlicher Operationen nimmt deutlich zu, sodass eine verlässliche Planbarkeit schwierig geworden ist. Bei uns in der Chirurgie bedeutet das: Wer soll heute operiert werden? Ist ein Intensivbett für die Überwachung nach der OP frei? Müssen wir verschieben? Wie lange kann der Patient warten? Das ist herausfordernd – für uns als Ärzte und die Pflegekräfte, aber natürlich auch für die Patienten.
Wo Sie die Patienten ansprechen…
Da gibt es noch andere negative Auswirkungen, die Corona auf Chirurgie-Patienten hat. Beispielsweise werden viele Krankheiten später erkannt. Weil Patienten durch die Pandemie weniger zur Vorsorge gehen oder trotz Schmerzen und anderer Symptome den Weg ins Krankenhaus meiden – aus Sorge, sich zu infizieren.
Wie wirkt sich das konkret auf Krankheitsbilder aus, die Sie häufig behandeln?
Besonders stark fällt mir eine Veränderung im Bereich der Darmkrebs-Fälle auf. Seit Beginn der Pandemie kam es zunächst zu einem deutschlandweiten Rückgang der Darmkrebsoperationen um 18 Prozent. Das spiegelte sich auch bei uns an der Kreisklinik wider. Das lag nicht etwa daran, dass es weniger Darmkrebs-Fälle gab und gibt sondern dass die Krankheit aufgrund der abnehmenden Arztbesuche und Vorsorgeuntersuchungen weniger häufig erkannt wurde. Gleichzeitig sind die Fälle deutlich schwerer geworden. Momentan kommt es zu einer deutlichen Steigerung der Krebsfälle an der Kreisklinik. Ein großer Anteil der Patienten erreichen uns über die Ambulanz aufgrund von Bauchschmerzen oder einer Anämie.
Mit Blick auf diese Entwicklungen: Was raten Sie (potentiellen) Patienten?
Klar ist: Je früher Krankheiten erkannt werden, desto besser sind auch die Heilungschancen. Patienten, insbesondere wenn sie zu einschlägigen Risikogruppen bestimmter Krankheitsbilder gehören, sollten weiter zu Vorsorgeuntersuchungen gehen oder aufgrund der Pandemie ausgefallene Termine nachholen. Das gilt natürlich nicht nur für Darmkrebs. Deswegen kann ich nur dringend raten, Vorsorge- und Nachsorgetermine wahrzunehmen. Auch bei aktuellen Beschwerden sollte ein Arztbesuch nicht allzu lange hinausgezögert werden. Alle Arztpraxen und Kliniken sind ja mittlerweile sehr gut darauf eingestellt, das Infektionsrisiko für ihre Patienten so gering wie möglich zu halten.
Mit Blick auf das Frühjahr und den weiteren Jahresverlauf – was sind Ihre Wünsche und Hoffnungen?
Ich hoffe, dass Bund und Länder ein durchdachtes und verantwortungsvolles Konzept für die geplante Öffnung sowie Reduzierung der Corona-Maßnahmen vorlegen, welches auch einen möglichen Neuanstieg der Infektionszahlen regelt. Auch wünsche ich mir, dass Krankheiten, die in der Pandemie zu wenig Aufmerksamkeit bekommen haben, wieder stärker in den Fokus rücken.